Kleine Erzählungen

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Mister Goodman war ein kleiner, freundlicher, stiller Mann. Das Haar war mittlerweile schüttern und überwiegend grau. Jeden Morgen wechselte er von seinem leicht abgetragenen Anzug in den sichtlich abgewetzten Blaumann. Die graue Ballonmütze blieb auf dem Kopf. Und jeden Morgen stempelte er zehn Minuten früher an, und jeden Abend, wenn er wie immer pünktlich abgestempelt hatte, ging er noch zu seinem Vorarbeiter, und fragte sicherheitshalber, ob es noch etwas zu tun gebe. Fast immer bekam er ein freundliches Danke, eine freundliche Verneinung, ein freundliches, daß er sich seinen Feierabend verdient hätte und nach Hause solle. Dann stieg Mister Goodman aus seinem Overall, legte die braune Stoffhose und Jacke wieder an, rückte seine Mütze zurecht, machte sich auf den Heimweg.
Sein Gang war nicht mehr der schnellste, sein klappriges altes Fahrrad stellte er im Hof ab. Nur wenn es aus Kübeln schüttete, nahm er manchmal den Bus, der eine viertel Meile von der Fabrik entfernt vor einer Konditorei hielt. Manchmal sah der Mann hinein, ließ die Blicke kurz über das leckere Gebäck und die Kuchen gleiten oder die ein-zwei Personen, die so früh schon darinnen und vor einer aufgeklappten Zeitung saßen, während sie Kaffee tranken. Goodman war noch nie darinnen gewesen, in all den Jahrzehnten nicht. Er hatte seine kleine Tasche dabei, in ihr ein belegtes Brot, manchmal einen Apfel, und eine kleine Kanne mit Kaffee. Kuchen aß Goodman nur selten, manchmal, wenn ihm die Brown-Wittwe einen am Sonntag vorbei brachte, und auch dann nahm er ihn eher nur aus Höflichkeit an. Nicht, daß er Gebäck nicht gemocht hätte. Er selbst buk einfach nicht – und kochte auch nicht, was das anging, außer einer Suppe hier und da – sondern hielt sich an Brotzeiten. Er sah es als unnötig an, seinen dünnen Lohn für Torten und Zuckerzeug auszugeben. Freilich, was er doch bedauerte, wenn er am frühesten Morgen vor der Konditorei stand: Daß der Regen ihm den Geruch von frisch gemahlenen Kaffeebohnen und den Schneckchen und den Sahnetörtchen vor der Nase wegzustibitzen schien, selbst wenn in diesem Augenblick jemand durch die Tür kam, das Glöckchen zum Klingen brachte und ein Hauch von süßem Nichts im Strömen verschwand. Dann zog Mister Goodman seinen Kragen höher, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte langsam durch die dicken Tropfen zur Fabrik. Gemächlich, mittlerweile leicht gebückt, denn er war ja nicht mehr der Schnellste. Aber da er immer früh aus seiner kleinen Wohnung kam, musste er auch nicht hetzen.

Zwischen den Backsteingemäuern machte er seine Runden, mehrmals am Tag. Er strich Fett auf die Zahnrädchen oder tauschte sie aus, wenn die viele Arbeit ihnen zu sehr zugesetzt hatte. Er prüfte die Riemen der Maschinen und wechselte aus, wo sich Risse in der ledrigen alten Haut bildeten. Er zog die Ballonmütze höflich vom Kopf, wenn jemand im Anzug an ihm vorbei ging, was nicht so oft vorkam, und grüßte die anderen Arbeiter freundlich. Manchmal mit einem Nicken, manchmal mit einem Handschlag.

„Wie geht es Ihnen, Mister Goodman?“
„Gut, gut. Selbst?“
„Kann mich nicht beklagen, schließlich ist gleich Mittag. Zigarettchen?“
„Ich mache noch diese Runde zuende, dann komme ich zu Ihnen?“
„Ist in Ordnung.“
Draußen im Hof saßen sie auf ein paar Bänkchen, die der Fabrikant vor vielen Jahren hier hatte aufstellen lassen. Seit einigen von diesen blätterte ihre grüne Farbe schon ab. Gut drei Dutzend Männer redeten, aßen, rauchten. Manche gingen spazieren oder nahmen in der Stadt etwas Einfaches zu sich. Goodman nahm eine Zigarette entgegen, ließ sie sich mit einem Zündholz anfachen und packte dann sein Butterbrotpapier auf. Sein Nebenmann tat es ihm gleich.
„Wie geht es Ihrer Frau?“
„Man kümmert sich sehr gut um sie.“
„Wie lange jetzt?“
„Ein Jahr bald.“
„Eine Schande.“
Goodman sah für einen Moment durch sein Brot hindurch, dann nahm er den ersten Bissen und nickte still. Schweigend nahmen die beiden ihr Essen zu sich, bis die Glocke sie wieder in die Halle rief.