Kleine Erzählungen

Letztes

Lebenszeichen

Nach einiger Zeit der Pause, zumindest was Kurz- und Kürzestgeschichten angeht, habe ich mich entschlossen, wieder mehr kreatives Denken in diese Kurzformen zu investieren und den Blog wieder auszugraben. Kurzgeschichten haben einfach den Vorteil, dass es mir gelingt in angemessener Zeit auch mal etwas zur Veröffentlichung fertig zu bekommen, während ich an Novellen- und Romanideen sitze und auch nach Jahren nichts zuende bekomme. Großprojekte werden dagegen immer wieder unterbrochen durch alles Mögliche, was das Leben einem eben so bringt.

So habe ich mir nun vorgenommen, wieder regelmäßiger etwas zu schreiben und bei den Kürzestgeschichten auch hier online zu stellen. Bis Ende Oktober bin ich terminlich wieder sehr sehr eingeschränkt, aber Ideen für Stories sind einige da – also keinbin ich zuversichtlich, dass es so schnell nicht einschläft, höchstens mal die Zeitspannen zwischen den Geschichten etwas größer werden. Zumindest habe ich schon ein paar Einfälle begonnen, inspiriert durch die Savoia Cavalleria, den Blutaar und mehr. Es ist also nur noch die Frage, wann ich Zeit habe die Ideen fertig zu stellen. Und irgendwann wird es auch mit „Liam“ und „Nanja’treu“ weiter gehen.

Coming up (wahrscheinlich) bald:

Morgindöggvar þau sér at mat hafa

[…]

Die Strapazen seines Lebens konnte man seinem abgemagerten Gesicht ansehen. Aus dem ausgezehrten Leib traten die Wangenknochen hervor, als wollten sie sich jeden Moment aus der fahlen Haut herausgraben. Das lange, dichte Wolfsfell verbarg, dass auch der Rest des Leichnahms mehr aus Haut und Knochen, denn aus Fleisch bestand. Lifthrasir zog den Pelz enger um seinen Körper, wohl wissend, dass ihn das nicht mehr würde wärmen können. Er tat es auch mehr aus Gewohnheit, aus Vorsorge, denn die Kälte war ihm schon so lange so tief in den Leib gekrochen, dass er sie manchmal kaum mehr bewusst vernahm. Er war ob des Gefühls taub geworden, gegenüber dem Eis, dem Schnee und seiner Welt.

[…]

Brecht den Schweinemarsch

Brecht den Schweinemarsch

(Hinter der Trommel her)

„Ha, hast du das gelesen Schatz?“ Wolf wedelte mit der einen Seite seiner Zeitung, die andere hielt er fest und ruhig. Es sah aus, wie das klägliche Schwanzwedeln eines kleinen, aufgeregten Hundes. „Praktisch von Null auf Hundert, da steht ihnen doch ’ne wichtige Rolle zu. Aber die Sozis mal wieder, woll’n den neuen Landtag erst im Oktober einberufen. Haben sie aber nicht mit Stiel gerechnet.“

(Die Augen fest geschlossen)

Evi stellte ihrem Wolf einen Teller mit Rührei und den Kaffee auf den Tisch. Ihr Mann lamentierte weiter. „Hier: ‚Die Alternative Arbeiter Partei zeigt sich, wie man aus einem offenen Schreiben an den Ministerpräsidenten weiß, ungeduldig‘ und ‚Spitzenkandidat Stiel machte erneut den Anspruch auf die Führung in Mecklenburg-Vorpommern geltend und droht damit, dass seine Partei der Regierung parlamentarisch das Leben sehr sauer machen könnte, wenn etwa der Versuch gemacht werden solle, ihnen den Weg zur Macht zu versperren‘.“

(Marschiern im Geist in seinen Reihen mit)

„Aber die SPD ist doch immer noch stärkste Kraft?“
Wolf zog die Tasse zu sich heran. „Ach, ja schon. Aber die AAP hat genug Stimmen, um mit der Union zu regier’n.“
Eigentlich mochte sie diese Gespräche nicht, aber ihren Mann einfach so am Frühstückstisch hängen lassen, das gefiel Evi dann doch nicht. Also hakte sie etwas widerwillig nach, doch Wolf merkte in seinem Tran sowieso nichts davon. „Und die machen da nun doch mit?“
„Nein, die ham immer noch nich‘ verstanden, was die Leute wirklich wollen. Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, überall wählen sie AAP. Die andern Parteien wiss’n doch nich‘ mehr, was die Deutschen brauch’n. Aber der Stiel weiß wo’s langgeht.“

(Die Hände sind blutbefleckt)

Wolf nahm einen großen Schluck Kaffee, stocherte dann mit der Gabel zwei-drei Stücke Rührei zusammen und kaute gemütlich darauf herum. Die nächste Portion folgte sogleich.
Bis die Gabel klirrend auf das Geschirrstück fiel. „Pah, was die Schmierfinken wieder schreib’n. ‚Der AAP-Landesverband wird aus dem Nebel, mit dem er bisher seine programmatischen Thesen umgeben hat, heraustreten und eine etwas deutlichere, verständlichere und vor allem exaktere Sprache führen müssen‘. Soll der Schreiberling doch erstmal richtig nachforschen. Der Frank Peterling sagt doch immer ganz klar, dass seine Partei sich für uns Normale einsetzt. Der wird noch Kanzler, wenn wir die Alte von der CDU endlich wegbekommen. So einer würde auch gucken, dass wir nur Leute aufnehm’n, die ’n Grund haben hier zu sein. Und der Rest wird zurück geschickt.“

(Auf blutroten Flaggen)

„Und wie genau machen die das?“
Evi gab sich selbst eine Schelte, duckte sich innerlich weg. Wolfs Gemüt war weder edel, noch sein Geist erwähnenswert voll. Und eigentlich wusste sie es besser, als ihn mit irgendwelchen Fragen herauszufordern, für die sie auch jetzt, wie immer, nur einen genervten Blick und eine patzige Antwort kassierte. „Indem sie denen kein Geld mehr ins Maul stopfen. Grenzen dicht, härtere Gesetze gegen die ganzen Vergewaltiger. Und mal durchgreifen. Keine langen Verhandlungen, in den nächst’n Bus und raus mit dem Pack.“

(Deren Blut im Schlachthaus schon geflossen)

Beide schwiegen. Evi, weil sie es nicht mochte, von ihrem Wolf angefahren zu werden, und Wolf. Nunja, weil er sich irgendwie ertappt fühlte. Aber das gab er natürlich nicht zu. Stattdessen vertilgte er den Rest seines Rühreis.
„Mir grummelts noch. Machst mir noch ’n Spiegelei?“
„Aber klar doch.“ Und ganz froh, dass wieder Ruhe eingekehrt war, erhob sich Evi vom Frühstückstisch und ging nochmal in die Küche.

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Zwischen Wahl und Arbeit

Rotting Medley

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And I hope that one day I will see you again. Skin against skin. Remembering everything you said. I wanna say things that I could never say. And now I’m telling you I want you to remember.

And now it seems it’s coming true. You look at me. You’re crazy.
Now I’ve told you this once before. I wrote you and told you: I want you to surrender. No time for the undecided. But you don’t know how to listen. But you don’t see.
I promise you there is more. Nothing is what it seems. Driven by hate, consumed by fear. I sit here locked inside my head. Darkness in my soul is taking hold. It never ends, it works it’s way inside. It’s deadly, dark, cold. The nightmare begins.
Now that you see what I can see – when hunter meets hunter, it’s up to you, I had no options left again.
If you don’t know, this is how it ends.
I stand alone. The storm is raging, has left me stunned. Like a blow to the head. Winds are howling. Can’t take much more. I’m as cold as a stone, I can feel the life fade from me. All the blood lying on the floor. The threat is real – survive this will no one. But I’m still alive. I’ve got to get the hell out of here.

Hope fails: I’m no stranger to failure, I guess that falls on me. Kicking and screaming and going down swinging. I taste the blood. This is a war that can never be won. What the hell is wrong with me?
Ever so deadly, hit so hard. Like a hammer, hell, to my head. I hurt much more than anytime before. Making me wish that I was dead. I can see it in my mind. It’s all the same to me. Paralyzed, nothing’s getting through to me. I have made you an enemy. Just keeps pounding me, hits so hard.
Everything’s been said. This is the end. I’m away forever, but I’m feeling better. Click, click, boom!

Goodmen

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Mister Goodman war ein kleiner, freundlicher, stiller Mann. Das Haar war mittlerweile schüttern und überwiegend grau. Jeden Morgen wechselte er von seinem leicht abgetragenen Anzug in den sichtlich abgewetzten Blaumann. Die graue Ballonmütze blieb auf dem Kopf. Und jeden Morgen stempelte er zehn Minuten früher an, und jeden Abend, wenn er wie immer pünktlich abgestempelt hatte, ging er noch zu seinem Vorarbeiter, und fragte sicherheitshalber, ob es noch etwas zu tun gebe. Fast immer bekam er ein freundliches Danke, eine freundliche Verneinung, ein freundliches, daß er sich seinen Feierabend verdient hätte und nach Hause solle. Dann stieg Mister Goodman aus seinem Overall, legte die braune Stoffhose und Jacke wieder an, rückte seine Mütze zurecht, machte sich auf den Heimweg.
Sein Gang war nicht mehr der schnellste, sein klappriges altes Fahrrad stellte er im Hof ab. Nur wenn es aus Kübeln schüttete, nahm er manchmal den Bus, der eine viertel Meile von der Fabrik entfernt vor einer Konditorei hielt. Manchmal sah der Mann hinein, ließ die Blicke kurz über das leckere Gebäck und die Kuchen gleiten oder die ein-zwei Personen, die so früh schon darinnen und vor einer aufgeklappten Zeitung saßen, während sie Kaffee tranken. Goodman war noch nie darinnen gewesen, in all den Jahrzehnten nicht. Er hatte seine kleine Tasche dabei, in ihr ein belegtes Brot, manchmal einen Apfel, und eine kleine Kanne mit Kaffee. Kuchen aß Goodman nur selten, manchmal, wenn ihm die Brown-Wittwe einen am Sonntag vorbei brachte, und auch dann nahm er ihn eher nur aus Höflichkeit an. Nicht, daß er Gebäck nicht gemocht hätte. Er selbst buk einfach nicht – und kochte auch nicht, was das anging, außer einer Suppe hier und da – sondern hielt sich an Brotzeiten. Er sah es als unnötig an, seinen dünnen Lohn für Torten und Zuckerzeug auszugeben. Freilich, was er doch bedauerte, wenn er am frühesten Morgen vor der Konditorei stand: Daß der Regen ihm den Geruch von frisch gemahlenen Kaffeebohnen und den Schneckchen und den Sahnetörtchen vor der Nase wegzustibitzen schien, selbst wenn in diesem Augenblick jemand durch die Tür kam, das Glöckchen zum Klingen brachte und ein Hauch von süßem Nichts im Strömen verschwand. Dann zog Mister Goodman seinen Kragen höher, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte langsam durch die dicken Tropfen zur Fabrik. Gemächlich, mittlerweile leicht gebückt, denn er war ja nicht mehr der Schnellste. Aber da er immer früh aus seiner kleinen Wohnung kam, musste er auch nicht hetzen.

Zwischen den Backsteingemäuern machte er seine Runden, mehrmals am Tag. Er strich Fett auf die Zahnrädchen oder tauschte sie aus, wenn die viele Arbeit ihnen zu sehr zugesetzt hatte. Er prüfte die Riemen der Maschinen und wechselte aus, wo sich Risse in der ledrigen alten Haut bildeten. Er zog die Ballonmütze höflich vom Kopf, wenn jemand im Anzug an ihm vorbei ging, was nicht so oft vorkam, und grüßte die anderen Arbeiter freundlich. Manchmal mit einem Nicken, manchmal mit einem Handschlag.

„Wie geht es Ihnen, Mister Goodman?“
„Gut, gut. Selbst?“
„Kann mich nicht beklagen, schließlich ist gleich Mittag. Zigarettchen?“
„Ich mache noch diese Runde zuende, dann komme ich zu Ihnen?“
„Ist in Ordnung.“
Draußen im Hof saßen sie auf ein paar Bänkchen, die der Fabrikant vor vielen Jahren hier hatte aufstellen lassen. Seit einigen von diesen blätterte ihre grüne Farbe schon ab. Gut drei Dutzend Männer redeten, aßen, rauchten. Manche gingen spazieren oder nahmen in der Stadt etwas Einfaches zu sich. Goodman nahm eine Zigarette entgegen, ließ sie sich mit einem Zündholz anfachen und packte dann sein Butterbrotpapier auf. Sein Nebenmann tat es ihm gleich.
„Wie geht es Ihrer Frau?“
„Man kümmert sich sehr gut um sie.“
„Wie lange jetzt?“
„Ein Jahr bald.“
„Eine Schande.“
Goodman sah für einen Moment durch sein Brot hindurch, dann nahm er den ersten Bissen und nickte still. Schweigend nahmen die beiden ihr Essen zu sich, bis die Glocke sie wieder in die Halle rief.

Ihr karminrotes Bett

Ihr karminrotes Bett

Als wäre ihr ein Haifischmaul gewachsen, schnitten sich ihre weißen Zähne durch das falsche Lächeln hindurch. Drangen nach außen durch die samtig weichen, sinnlichen Lippen. Sie verlor in genau diesem Moment die erotische Erscheinung, die sie bis zu diesem Augenblick noch besessen hatte. Die sie selbst mit dem blutigen Skalpell in ihren Händen noch besessen hatte. Dunkel waren die Flecken auf ihrem karminroten Kleid und dem Korsett, und sie wären vielleicht nicht einmal so sehr aufgefallen, wenn sie nicht so frisch gewesen wären. Denn bis auf das Licht der Kerzen war das Schlafzimmer dunkel. Das erlaubte es mir kaum, sie in ihrer ganzen Pracht zu begreifen, was jedoch auch nicht nötig war, um die Vollkommenheit dieser Frau anzubeten. Selbst als aus der Hitze ihrer Leidenschaft verwüstende, kalte Bösartigkeit geworden war. Die Flammen spiegelten sich in der verschmierten Klinge und in den nussbraunen Augen, die mich wie Beute fixierten. Ihr Blick schickte ein Zittern durch meine Glieder, vom steifen Nacken hinab den Rücken entlang, durch jeden Muskel und jede Faser meines Leibes. Fast so, wie mein Körper zuvor von jeder noch so kleinen Berührung ihrer Finger zum Erbeben gebracht worden war. Mir fröstelte unerbittlich, die Bettwäsche war durchtränkt, doch der stechende Schmerz in meiner Brust, das schreckliche Brennen jedes Atemzuges, waren wohl am präsentesten in meinem Geiste. Der Terror dieser Qual hatte sich in meinem Hinterkopf eingenistet wie eine kleine Geschwulst. Jetzt war es jedoch vor allem ihr Anblick, der sich durch mein Hirn fraß. Dieses zum Haifischmaul verzerrte Grinsen in einem ansonsten perfekten Gesicht, die wunderschönen, mordlüsternen braunen Augen. Die zierlichen Finger, die sich um das Skalpell gelegt hatten, mit dem sie nun wieder auf mich zeigte und die Zähne noch mehr bleckte. Ich hustete weiteres Blut auf ihr Kopfkissen, sie kicherte durch die spitzen animalischen Waffen hindurch wie vom Wahnsinn erfasst. Langsam erhob sie sich von dem Holzstuhl, auf dem sie gesessen und mich beobachtet hatte. Mir zugesehen hatte, wie ich mich in den Laken wand. Wie ich mein Leben in ihr weiches Bett aushustete, wie Blut und Schleim in den Stoff drangen. Es fühlte sich an, als würden sich ihre roten Finger in meinen Brustkorb hinein wühlen, die Nägel über meine Lunge kratzen.

Sanft strich sie mit dem kalten Skalpell über meine entblößte Brust, ohne durch die Haut zu dringen. Mein Herz bettelte nach einem Stoß, aber den gab sie mir nicht, hatte ihn nicht nötig. Sie war längst tief in mich gefahren, ihre sadistische Folter wirkte sich schon viel zu lange auf mich aus, bereitete mir überall Schmerzen. Mein Kopf stand in Flammen, der Rumpf quälte mich. Ich war ihr schutzlos ausgeliefert, wie betäubt, verlor für einen Moment das Bewusstsein, kam wieder zurück. Noch immer stand sie über mich gebeugt neben dem Bett. Ihre Augen bohrten sich wie Messer in mein Fleisch, ich hustete auf der Seite kauernd wieder roten Saft und Klümpchen in ihr Kissen, während sie kicherte.

Sie ging im Raum umher, zu dem Tischchen, einer Kommode, wo auch immer die fast heruntergebrannten, sterbenden Kerzen standen – und blies sie mit einem zärtlichen Hauch von ihren Lippen aus. Die Dunkelheit umfing mich, vielleicht verlor ich aber auch nur wieder für einen ewig lang erscheinenden, ausblutenden Moment das Bewusstsein. In der Zwischenzeit musste sie zum Fenster gegangen sein; hatte die Vorhänge genug zur Seite geschlagen, damit etwas vom Licht der Gaslaternen auf der Straße herein drang. Als ich mich mühsam auf den Rücken drehte, kletterte sie zu mir in ihr Bett. Wie ein schwarzrotes Insekt, das langsam über mich stieg. Bis sie direkt über mir war. So finster in ihrem Schlafzimmer. Ihr Kleid hob sich kaum von der Umgebung ab, wohl aber die helle Haut in Gesicht und Dekolleté, das Weiß in ihren dunklen Augen. Und die ausgeprägten Raubtierzähne.

Zuerst stützte sie sich mit ihren Armen links und rechts von meinen Schultern auf, ich war zu schwach sie weg zu drücken. Sie beugte sich vor und flüsterte mir mit einer lieblichen Stimme ins Ohr: „Wehre dich nicht, dann ist es bald vorüber.“ Sie klang wie mein persönlicher Todesengel, und für einen Augenblick verschwand aus meinen Gedanken, was sie mir angetan hatte. Mir war danach, ihre rosigen Lippen zu kosten, loszulassen und endlich ohne Schmerzen zu gehen. Dann presste sie aber mit beiden Händen auf meinen gemarterten Brustkorb. Als seien sie der Blasebalg eines Schmiedes, zwang sie meine Lungen dazu, sich zusammen zu quetschen und auszudehnen, bis ich den nächsten Anfall blutigen Hustens nicht mehr zurückhalten konnte. In roten Fäden und feinen Tröpfchen spie ich ihr entgegen, benetzte und färbte ihre Haut. Das Grinsen in ihrer wunderschönen Fratze wurde breiter, wie erfasst von einer tief in sie vordringenden Befriedigung und Genugtuung. „Du schmeckst so gut“, sagte mein lieblicher Todesengel und leckte sich rote Spritzer von der Unterlippe, fuhr direkt auf mich herab und drang mit ihrer metallisch-salzig schmeckenden Zunge in meinen Mund vor. Bei all der Gewalt, die sie mir angetan hatte, so widersinnig mir dies nun auch vorkam, war der Höhepunkt erreicht. Ich spürte ihre weißen Haifischzähne, die so fehl am Platz waren im Maul einer solch herrlichen Erscheinung. Jeden einzelnen fühlte ich, als sie mit ihrer brutalen Zunge in meinem Rachen wütete und den Blutgeschmack noch verstärkte, dem ich auszuweichen so lange schon kaum vermochte. Geist und Körper verkrampften sich. Meine Kraft schwand, in einem letzten Aufbäumen wagte ich sie bei Seite zu pressen. Es zumindest zu versuchen. Ich erreichte damit nur, dass sie das Skalpell tief in meine Rippen führte, zwischen den Knochen hindurch, in meinen Mund hinein kichernd. Mein Blut quoll mir über die Lippen, färbte die weißen Reißzähne karminrot – wie ihr Kleid. Jeden Schluck saugte sie wie meine nutzlose Gegenwehr begierig in sich auf, breitete ihre schwarzen Schwingen über mir aus und umfing mich damit. Packte mich, fesselte mich, bis ich in ihrer Nacht vollkommen verschwand…

Rigor Mortis

Rigor Mortis2

Sein Herz hörte auf zu schlagen, und er öffnete seine Augen. Kurz blickte er im Raum umher, ohne den Kopf zu bewegen. Schloss die Lider, atmete durch die Nase einen tiefen Zug in die leblosen Lungen. Der Brustkorb hob und senkte sich, die morschen Rippen ächzten lautlos. Dann öffnete er die Augen wieder, streifte das dünne Tuch beiseite, das ihm in dieser endlos langen Nacht keine Wärme gespendet hatte. Seine Bewegungen sahen fließend aus, doch in Wahrheit kosteten sie ihn alle Kraft. Er schwang die Beine von seiner Liegestatt, während er gleichzeitig seinen Oberkörper aufstemmte. Für einen Moment verharrte er am Rand sitzend, wieder dieser schwere, tiefe Atemzug, den Kopf leicht gesenkt. Seinen Blick auf die nackten Füße gerichtet, doch hindurchsehend durch den Leichnam, durch den Boden, das nächste Stockwerk, die Menschen darin. Durch all die Materie, die in ihm keine Rührung mehr erweckte… Langsam stand er auf.

Wieder ging er in sein Bad, wie jeden Morgen. Betrachtete das leere Abbild in seinem Spiegel. Er nahm den Rasierer zur Hand und kümmerte sich darum, die Anzeichen frischer Stoppeln aus seinem ausdruckslosen Gesicht zu löschen. Danach beugte er sich vor, auf die kalte, weiße Keramikfläche seines Waschbeckens. Spürte nur das glatte, makellose, kalte Material. Ließ etwas Wasser in seine Handflächen fließen und benetzte die Totenmaske. Der Mann machte sich vollends fertig und wieder ging er zurück ins Schlafzimmer. Dort legte er sich die Kleidung heraus, fein säuberlich auf sein Bett. Er kleidete sich an, schritt an seinen Nachttisch heran, öffnete die oberste Schublade, nahm eine Tablettendose heraus. Die Pille, wie jeden Morgen, schüttelte er in seine Handfläche und schluckte sie ohne Wasser den ausgedörrten Hals hinunter. Die Medizin, die nicht mehr half. Der Geist blieb starr, die Seele blieb tot. Der kleine Fremdkörper in seinem hohlen Magen gab ihm keine Energie mehr, steigerte nichts, wo nichts mehr da war. Für ihn war es reine Gewohnheit, die Tablette zu nehmen, so wie es dem Mann zur reinen Gewohnheit geworden war, sich täglich aus seinem Leichenlager zu erheben und dem faulen Ort den Rücken zu kehren.

Für kurze Zeit zumindest.

Er dachte an die kommenden Stunden, an seine Arbeit. Die Berichte und Meldungen, die er schreiben müsste. Die Menschen, mit denen er reden müsste. Dachte an die Termine, die ihn längst nicht mehr mir Eifer erfüllten oder die Aufträge, deren Erfüllung ihm keinerlei Erfolgsgefühl mehr gaben. Der Stoff seiner Kleidung war dünn auf seiner Haut. Die Wohnung hielt er praktisch unbeheizt, doch ihm fröstelte nicht. Nicht, dass er etwas getan hätte, die Kälte abzuhalten. Ganz im Gegenteil. Er wartete sehnsüchtig auf das Gefühl ihrer Umarmung, aber es kam nicht. Der Mann wartete auf die Rückmeldung seiner Sinne, wie eine Maschine auf die Meldungen ihrer Sensoren. Wartete auf dieses Totentuch, so rein und weiß, seidig und weich, mit dem ihn die Kälte manchmal umfing und dass das einzige war, das ihm ein Gribbeln auf der erbleichten Haut verursachte. Das ihm ein kurzes Empfinden bereitete.

Als der schließlich seine Hand auf den Türknauf legte, seine Wohnung verlassen wollend, stockte er kurz im Schritt. Wandte sich um, zu der kleinen Dielenkommode neben dem Ausgang. Sein Blickt fiel auf ein Bild. Das einzige Bild innerhalb dieser Wände: Er sah sich im Glas… sah sie. Für wenige Augenblicke schlug das fahle Herz lebloses Blut durch seine Adern, bevor er wieder ging. Wie jeden Morgen. Und die Tür seiner Wohnung hinter sich schloss.

Stalker

Stalker

Vor einem Haus, auf dem Gehsteig, steht ein Mann. Kein Mond scheint, und auch die Sterne sind kaum zu sehen. Dunkel, Nacht. Er sieht zum Haus hinüber, über einen kleinen Hof hinweg, auf dem mehrere Parkplätze der Mietparteien belegt sind. Zwei Kleinwagen, ein A4. Langsam geht er aus dem Licht einer Straßenlaterne heraus, seine Schritte verursachen ein leises Knirschen, kleinste Steinchen auf Asphalt. Er tritt in den Schatten hinter einem unbeschrifteten, weißen, alten Kastenwagen. Es ist still. Nur das Zirpen von ein paar Grillen in den hüfthohen Büschen rund um das Haus ist zu hören. Von hier aus kann er sie in ihrer Wohnung sehen, durch die große Glasfront ihres Wohn- und Esszimmers. Das Licht über ihrer offenen Küche ist aus, aber das Sofa hell erleuchtet. Mehrere Kleider liegen dort. Der Mann zieht den Zipper seiner braunen Lederjacke herunter, greift in die linke Innentasche. Seine Finger fahren vorbei an zwei verpackten Kondomen, um die Zigarettenschachtel herum und befördern sie ins Freie. Nochmal fährt seine Hand hinein. Tastet herum. Kein Feuerzeug. Er schnaubt leicht frustriert. Hatte er es vergessen? Mit der Linken klopft er sich auf der anderen Seite auf die Brust. Spürt das Taschenmesser und einen weiteren Gegenstand. Also greift er auch dort in die Innentasche und findet das Einwegfeuerzeug. Er fischt einen Glimmstängel aus der Packung, steckt ihn sich zwischen Ober- und Unterlippe, steckt dann die Schachtel in die linke Gesäßtasche und führt das Feuerzeug zur Zigarette.

Mit einer kleinen Bewegung des Daumens erwacht die Flamme zum Leben, doch zwei Zentimeter vor seiner Zigarette erstarrt er einen Moment. Durch die Glasfront sieht er die Frau, wie sie in Unterwäsche ins Wohnzimmer kommt. Die schwarze Spitze flüstert ihm ein Versprechen zu, verbirgt darunter ihre wunderschönen kleinen Brüste nicht vor seiner Vorstellungskraft. Genauso wenig wie ihrem dünnen Höschen das gelingt; auch dieses bietet keine ausreichende Barriere für seine lüsterne Fantasie. Das Feuer überwindet schließlich die letzten Millimeter und mit einem gleichzeitigen kräftigen Zug erglimmt die Zigarette. Sie steigt in ein rotes Kleid, während er den Rauch langsam in die lauwarme Nachtluft belässt. Während er die Schwaden vor sich über ihren zarten Körper tanzen lässt, als wären zwischen ihnen jetzt schon die mehreren Meter und das Glas auf eine gefährliche Nähe geschrumpft. Die Frau geht ein paar Meter, stellt sich vor einen großen Spiegel in ihrer Wohnung, sodass der Mann sie nicht mehr sehen kann und nur noch einen Blick auf einen kleinen Teil ihres Abbildes erhascht. Ihre Hände streichen über den feinen Stoff, während sie sich auf dem Absatz hin und her dreht und ihre Reflexion betrachtet. Seine Hände streichen in Gedanken über ihren wunderschönen Körper, während er die Zigarette für den nächsten Zug zum Mund führt.

Sie kommt zurück zur Couch, streift ihr Kleid ab. Er wechselt zum Zeige und Mittelfinger der anderen Hand, um die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Bläst den weißen Rauch aus, von dem in der Finsternis nur er etwas sehen kann und überhaupt auch nur einen Moment etwas zu sehen ist. Völlig automatisiert befeuchtet seine Zunge die Lippen. Sein Blut ist längst in Wallung. Langsam fällt das Rot zu Boden, ihm steigen die Hitze und das Nikotin zu Kopf. Der Gedanke, seine Hände in ihren Haaren zu vergraben, ihre Haut an der seinen zu spüren, macht ihn fast verrückt. Geduldig wartet er jedoch weiter. Lauert auf den richtigen Moment, um sich eine weitere Zigarette anzustecken. Ein Moment, in dem er nichts verpassen würde. Doch er kommt nicht. Sie steht vor der Auswahl an Kleidern und überlegt. Steht da in ihrer schwarzen Unterwäsche. Kein Augenblick, den er verpassen will. Sie beugt sich vor – sicherlich kein Augenblick, den der Mann verpassen will – und nimmt das nächste Stück. Grau, eng anliegend. Die Show, seine Show, keine Sekunde aus den Augen lassend, fingert er sich blind die Schachtel heraus, die nächste Zigarette, zündet sie sich an. Routiniert. Er lässt die Hand wieder sinken, steckt die Packung zurück in seine Gesäßtasche, während sie das Kleid hoch zieht. Keinen Moment sieht er weg. Der Einteiler wandert über ihre Beine, über den schönen Po, den unteren Rücken entlang, zu ihren Schultern. In Gedanken malt sich der Mann aus, wie seine Finger bald denselben Weg gehen würden. Und andere Wege. Langsam, schnell, fordernd, bestimmt, überallhin.

Wieder geht die Frau zum Spiegel. Wieder sieht er nur ihr Abbild, doch das raubt ihm so oder so schon den Atem. Wenn er zuvor schon gemerkt hatte, dass sein Blut in Wallung geraten war, jetzt brennt es förmlich. Sie dreht und wendet sich im Spiegel nur für ihn. Nur für seine lüsterne Gier. Ihre Finger, die den glatten Stoff des Kleides völlig unnötigerweise weiter glatt zu streichen versuchen, sind seine Finger. Vielleicht nicht jetzt, aber später. Das weiß er. Das er sie haben wird. Als sie schließlich ganz aus dem Bereich verschwindet, den der Mann einsehen kann, zündet er sich eine dritte Zigarette an. Allein hier mit seinen Gedanken, stellt er sich ihren Körper vor und lehnt sich an den weißen Kastenwagen. Nackt wird sie sein und seinen Wünschen ausgeliefert. Genussvoll zieht er an seinem Glimmstängel, füllt die Lungen mit Rauch, und wartet. Die Frau wäre bald für den Abend gerichtet, und er war schon lange bereit für sie. Just in dem Moment kommt sie über den Hof geschritten, ihre hohen Schuhe sind nicht zu überhören, ihre Hüften schwingen hin und her. Mit einem einzigen Schritt ist der Mann aus dem Schatten des Lieferwagens herausgetreten, wie durch einen dunklen Vorhang, ins gelbliche Licht der Laternen. Hat sich, mindestens einen Kopf größer als sie, vor ihr aufgebaut.

„Tschuldigung“, sagte die junge Frau, „hat einen Moment gedauert. Ist’s so, wie du es dir vorgestellt hast?“ Der Mann schüttelte nur einmal den Kopf und grinste über das ganze Gesicht. „Als könnt‘ ich mir das in meiner Fantasie auch nur annähernd so vorstellen.“ Sie erwiderte seine Reaktion mit einem breiten Lächeln, blieb zwei Schritte vor ihm stehen, warf sich lasziv in Pose. Eine Hand fuhr durch ihr dunkles Haar, die andere war auf die eingeknickte Hüfte gelegt. Er schnippte den angefangenen Glimmstängel achtlos zur Seite, „komm her“, zog sie zu sich und sie küssten sich. Lange, intensiv, ihre Arme hoch gestreckt um seinen Nacken, dahinter die Finger verschränkt, seine Hände an ihrem Rücken und Po. „Lass uns geh’n, dann könn‘ wir uns früher wieder absetzen.“

Happy Home 3:35

Happy Home 335

Nie wieder. Nie wieder würde ich sie so sehen. So friedlich, so schön. Mein Verstand wusste es genau. Dreifünfunddreißig und sie hatte die Augen geschlossen. Die Lider bedeckten diese wundervollen Augen. Selbst im Dunkeln nahm ich genug Schemen wahr, konnte mir sogar so viele Details wie die Wimpern einbilden. Es war nur schwaches Licht im Raum, das von draußen durch die Vorhänge zu uns herein drang, von der Straße, den Sternen, vielleicht auch vom Mond kam. Doch mehr brauchte ich nicht. Falsch. Nicht einmal das wenige Licht brauchte ich. In meinem Geiste sah ich, wie sie die Augen geöffnet hatte und mich anblickte. Wäre ich ein Künstler gewesen, ich hätte sie aus meiner bloßen Erinnerung heraus malen können. Malen, wie sie mich fragend ansahen, kritisch, neugierig. Wenn sie lachte, grinste, und ihre Augen mit lachten, mit grinsten. Wie sie mich anblickte, wenn ihr ganzes Gesicht so wunderschön strahlte, dass mir das Herz für einen Moment stehen blieb, um dann mit doppelter Geschwindigkeit in einen aufgeregten, freudigen Spurt hinein zu tanzen. Aber so sehen würde ich sie wohl nie wieder. Mein Verstand wusste es genau.

Ihr regelmäßiger Atem beruhigte mich wieder. Hüllte mich mit seinem Klang ein, wie in einem schützenden Kokon. Langsam, aber gleichmäßig, ruhig und kräftig zugleich. Leise, aber in dem Zimmer nicht zu überhören, erfüllte dieses Geräusch des Lebens den ganzen Raum. Mich hörte man nicht, weil ich versuchte meinen eigenen Atem so flach und lautlos wie möglich zu halten, nur um den ihrigen noch deutlicher zu hören. Vierelf und trotz allem verspürte ich Hoffnung in mir aufkommen. Nie wieder würde ich sie so sehen. Das wusste mein Verstand genau. Dennoch war da dieser beruhigende Klang in meinem Geiste, wie Geigenspieler, die ein hoffnungsvolles Lied anstimmten. Die so sanft über ihre Instrumente strichen, so sanft wie ich sie jetzt am liebsten gestreichelt hätte. Zärtlich über ihre weichen Wangen – aber es nicht tat, sie nicht wecken wollend. Sie drehte sich mit einem kleinen Seufzer auf die Seite, wandte mir den Rücken zu. Ich rückte nach, nach, nur nach, um ihr näher zu sein. Doch mit Vorsicht, um sie blos nicht in ihren Träumen zu stören. Bald würde die Sonne aufgehen, bald müsste ich aufstehen. Zum letzten Mal mit ihr an meiner Seite. Der Gedanke daran vertrieb die Violinisten wieder, drängte sie zurück. Vierfünfundfünfzig, und im Lied in meinem Kopf nahmen Becken und Gitarrenriffs wie Schläge zu. Nie wieder, schrien meine Gedanken. Wie soll ein Mensch so etwas ertragen?

Ich blickte auf den zierlichen Körper, der sich unter der Decke abzeichnete, und empfand schon jetzt das Gefühl der unerfüllten Sehnsucht, die sich bereits bemerkbar machte, als ich sie noch gar nicht vermissen dürfte. Als sie noch da war. Eine Sehnsucht, die sich aber sicherlich auch noch mit jeder Minute verstärken würde, Tag für Tag, Woche um Woche, Monat über Monat. Doch die aufgeregten, vielleicht gar aufgewühlten Töne in meinen Gedanken konnte ich wieder ein wenig beruhigen. An Schlaf war nicht zu denken, aber schlafen wollte ich auch nicht. Ich wollte nur alles bewusst erleben, so bewusst es noch ging. Es war dieser Moment, in dem sie sich wieder drehte, über den Rücken, auf die andere Seite, erneut mit einem sanften Seufzer. Durch ihre geschlossenen Lider sah sie mich direkt an. Fünfvierzehn und eine kleine Tonfolge spielte DiDaDu-Daa-Diiii-Duuuuuu-…. Sie klang verspielt und irgendwie mit einem angenehmen Beigeschmack der Fröhlichkeit unterlegt. Mit meinen Augen tastete ich im Dunkeln über ihre süße Nase, die zarten Lippen, über die so ein fröhliches Lachen kommen konnte. Für einen Augenblick verlor ich mich in diesen Sekunden, die folgenden Minuten verschwanden in ihnen, bevor ich wieder auf die Uhr blickte. Ich hatte das Gefühl, ich hätte mich nur ganz kurz im Anblick ihrer feinen Züge verloren. Doch es war nur eine Ablenkung gewesen. Der Sturm aus Gitarrenriffs war unverändert in meinem Hinterkopf gespielt worden, das DiDaDu hatte ihn nur ein paar Minuten mit Hoffnung unterlegt. Die Uhr sagte Fünfzwanzig, und die fröhliche Tonfolge verschwand wieder im Tosen der Akkorde. Ich wusste, dass mir die Zeit davon rannte. Ich wusste, ich würde sie nie wieder so sehen. Ihre Lippen öffneten sich leicht, die Lungen füllten sich etwas mehr mit Luft, die Lider flatterten für einen Atemzug. Was sie wohl träumte? Sie wirkte friedlich, schien von dem Sturm so nah bei ihr nichts mitzubekommen.

Angestrengt laserte ich mir das Bild ins Gedächtnis, und das nächste, und das nächste. Ich konnte nicht sicher sein, was nach dieser Nacht bleiben würde. Fünfachtundzwanzig. Das Lied in meinem Kopf wurde immer leiser. Nicht wissend woher sie kam, hieß ich die zurück gewonnene Ruhe willkommen. Als wollte mir mein Kopf erlauben, die letzten Minuten vollends auszukosten. Es fühlte sich an, wie über ein ruhiges Meer das ausgebreitete Glitzern der aufgehenden Morgensonne zu beobachten. Wie den Frieden, den ich dabei in der Vergangenheit empfand, den glänzenden Teppich auf kleinen Wellen, zusammen mit dem aufsteigenden orangegelben Feuerball zu betrachten. Ihr Anblick zog mich nicht weniger in den Bann, erfüllte mich nicht weniger mit Wärme. Tief ins Mark, meine Gedanken durchdringend und in mir diesen Funken der Hoffnung noch tiefer einpflanzend. Fünffünfundfünfzig. Die Gitarrenriffs, das Schlagzeug, das Lied, praktisch nicht mehr zu hören.

Dann war es Sechs. Ich hatte den Wecker nur Augenblicke bevor er losgegangen wäre ausgeschaltet – ich wollte sie nicht stören. Denn nur für mich allein war es Zeit aufzustehen und zu gehen. Ein letztes Mal ihren zierlichen Körper im Schlaf betrachtend, eingekuschelt in ihre dünne Decke, streifte ich die meinige vorsichtig von mir. Noch einmal versuchte ich alles auf einmal zu tun, was ich in dieser Nacht bereits gemacht hatte. Ich dachte an die Schönheit ihrer Augen, ihr strahlendes Gesicht, wenn sie Freude empfand, ich versuchte für wenige Sekunden ihrem Atem zu lauschen, um mich an ihrem Leben nicht weniger fest zu klammern, als sie selbst. Alles versuchte ich gleichzeitig, um das allerletzte Mal von diesem Moment zu kosten. Von diesem Frieden, um sicher zu gehen, dass etwas von diesem Augenblick für immer in mich aufgenommen würde. Mit etwas Glück konnte ich die Eindrücke und Gefühle speichern, mich festklammern am DiDaDu und den Violinen. Denn nie wieder würde ich sie so sehen können, die Musik vielleicht nie mehr hören können. Das wusste mein Verstand genau, das Lied in meinem Kopf war zu Ende gespielt. Doch trotzdem empfand ich Hoffnung.

Mockingbird

Mockingbird

Sie spielten unser Lied. Bling – Bling – Bling Bling… Das metallische Geräusch wechselte sich mit dem Krachen der mächtigeren Paukenschläge ab, kam und ging immer wieder, wie die Wellen des Meeres. Uns in den Schlaf zu wiegen, wie einst der Gesang unsere Mütter. Als wir noch klein waren und in unsere Bettchen passten. Aus Holz gedrechselt, oder aus geflochtenen Weiden. Mit Deckchen und Kisschen. Rüschen aus bunten Farben auf weißem Grund. Hush my little baby, don’t say a word, Mama’s gonna buy you a mockingbird. And if the mockingbird won’t sing, mama’s gonna buy you a diamond ring. Unser Lied kam wieder. Die Ruhe kam nicht. Zum Glück. Es gab hier keine Kinderkrippen mehr, in denen wir hätten einschlafen können. Mit etwas Glück gab es Holz auf dem Heimweg. Mit etwas weniger Glück nur sandigen Grund…
Wieder war der Ozean vorherrschend was das Wogen und Wehen anging. Wie eine Nussschale wurden wir hin und her geworfen, von der Gischt durchnässt. Und immer wieder spielten sie unser Lied, gemischt mit einem feinen Aroma, sodass alle Sinne angesprochen wurden. Einem Aroma, das aus jeder Passagierreihe zu kommen schien, ohne Ausnahme. Nicht das fischige Salz, den Meeresgeruch an den sich alle schon gewöhnt hatten, sondern das beißend Saure vom relativ frischen Mageninhalt nach einem ausgiebigen letzten Mahl. Urin war dagegen kaum zu riechen. Nicht, weil nicht genug in den grünen Klamotten landete, sondern weil die meisten Passagiere durchaus noch daran gedacht hatten, den richtig herben Morgenharn auf dem Schiff zu lassen. Auch ich kämpfte mit der aufkommenden Übelkeit, der Mitfahrer neben mir dagegen grinste breit. Ihm ging es ausgezeichnet. Er war euphorisch und musste verrückt sein. Wieder und wieder schwärmte er mir vom herrlichen Türkis vor, in das sich die aufgewühlte, azurblaue See vor uns verwandelt hatte.
Ständig spielten sie immer wieder unser Lied. Weiter und weiter. Bling-Bling-Bling-Bling-Bling – Bling Bling… Begleitet von der einen oder andern Pauke, die zusätzliche Gischt auf die Helme prasseln ließ. „Thirty Seconds!“ Der Hammerschlag traf das Boot mit der Wucht eines mit unendlichem Zorn geführten Kinnhakens. Der Kämpfer schüttelte sich, wog den gemarterten Schädel hin und her. Versuchte die Besinnung zu behalten. Derweil fielen oder sprangen drei lebende Fackeln durch das frische Loch in die kalten Wogen, bevor der erneut getroffene Boxer sich ein letztes Mal aufbäumte und dann zusammen brach. Die hinteren vier Reihen verschwanden komplett, als ein zweiter Hieb das Boot erwischte und ihm die Metallrampe wegriss. Der letzte Paukenschlag dieses Liedes, denn auf die untergehende Metallkiste wurden keine Akkorde mehr verschwendet. Für die Konzertbesucher bedeutete dies nach einem herrlichen Crescendo natürlich ein allzu abruptes Ende ihrer Vorstellung. So wenige Sekunden vor dem eigentlich großen Höhepunkt, auf den der klimaktische Aufbau des Kunstwerkes so sehr hingearbeitet hatte. Nun war es wieder allein der Pazifik, der den Ton angab. Die Wellen verschluckten die Schreie, und die Panik, zusammen mit dem salzigen Wasser in den Ohren, reichte aus, um auch den metallischen Lärm an den Wänden der andern Boote auszublenden. Sogar um die Hammerschläge im Tosen der auf eine Mischung aus Felsen und flachen Strand treffenden Brandung untergehen zu lassen. Rasch war die ganze Kleidung und Ausrüstung voller Salzwasser. Das Gewehr war schnell losgelassen. Der Helm abgestreift, dessen offene Kinnriemen einem zuvor mit Wucht ins Gesicht gepeitscht hatten. Der Griff danach, das Festzurren, war mir eben noch jäh vom ersten Einschlag unterbrochen worden. Im Zweifel, vielleicht, schaffte es auch manch einer, den Rucksack abzuwerfen. Zumindest wer schnell genug reagierte, um nicht schon nach Augenblicken in der Tiefe zu verschwinden. Wir trugen zwar Rettungswesten, doch so oder so, die nasse Uniform zog trotzdem noch genug hinab und die Westen waren dafür gemacht, einen Menschen auf dem Rücken, vor allem den Kopf über Wasser zu halten. Eine Mischung, die das Schwimmen erschwerte. Mit dem starken Wellengang an dieser Stelle wurde aus schwer eine unheimliche Qual. Ganz zu schweigen von den Felsen, die durch die Oberfläche brachen, und den Korallenriffen, die darunter lauerten. Es war hier nicht mehr so tief, als dass die Brandung einen Mann nicht tief genug unter Wasser und in die scharfen Kanten hätte hinein drücken können.
Alles in allem keine gute Kombination.
Nicht, wenn man rasch an den Strand kommen wollte. Oder überhaupt.
Vielleicht etwas mehr als eine Hand voll waren es, die aus dem Boot gekommen, hier und jetzt, noch kein Krippenlied vernommen hatten. Die es bis zum sandigen Boden schafften. Die sich hinter Panzersperren verkriechen konnten, aufgestellt, manchmal nur aus Palmstämmen, um die Amtrac-Schwimmpanzer auszubremsen. Meine Deckung schien durch das Feuer unserer eigenen Schiffe geschaffen worden zu sein, als sie den Strand sturmreif geschossen hatten. Es zumindest versucht hatten. Der Stumpf war zerfetzt, gesprengt, nicht gesägt. Ich sah mich um, fischte aus dem Wasser, in dem meine Fuße gerade noch so steckten, teils umspült, teils im aufgeweichten Sand versunken, eine Carbine. Ich nahm an mich, was ihr früherer Besitzer nicht mehr brauchte, presste dann meinen Rücken mit ganzen Kraft an den Baumstamm. Links und rechts von mir sammelten sich andere, manch einer spähte über das Holz, um sich eine Übersicht über die Lage zu verschaffen. Meinen Kopf dagegen hielt ich tief zwischen die Schultern geduckt, ohne Helm fühlte ich mich noch verletzlicher, als ich es an dieser Stelle so wieso schon war. Immer weiter versuchte ich meinen Kopf einzuziehen. Am liebsten hätte ich mich tief im Sand vergraben, während sie links und rechts von mir über den Stamm sprangen und weiter auf das Unterholz des Dschungels zu rannten. Eine grüne Welle, die auf das vom Sperrfeuer zerfetzte Blätterwerk zuströmte und hier und da in roter Gischt aufging. Es war das nächste Crescendo, das sich nach und nach steigerte, hinein zu rollen zum Höhepunkt im Landesinneren. Die plötzliche Bewegung sorgte dafür, dass unser Lied erneut erklang. Dafür, dass sich die Akkorde tief in meine Deckung verbissen, während ich meine Fingernägel in das walnussfarbene Holz meiner M1 vergrub. Wieder dachte ich an das Krippenlied, und bald schon hörte ich den Mockingbird.

Merry Madley

Merry Madley

I know he’s just not right for you. Baby, just to wake up with you would be everything I need and this could be so different. After the night when I wake up you’re standing next to me. I hold on ‚til the sun comes up if you’ll be there for me. Stay forever. Walk behind me. Why don’t you come over? I’m here without you baby. And it hurts to know that you belong here. I know I can treat you better than he can. There’s only one thing you should know: I, I love you. And you’re still with me in my dreams.

When I’m dancing with the one I love: It makes me feel good, it makes me blow my mind. Every touch is sacred. We shared a moment that will last ‚till the end. On this fateful day my whole life is upside and down. You’re beautiful with a smile like a flame. Love is like a sin for the one that feels it the most. Your touch will set me free… and you still won’t let me in. You kept everything inside. Still dancin‘ with your demons, scared to move another step ahead.

But when you gonna wake up and fight, for yourself. In a way. This will make you love again. And if you go, I want to go with you. I’ve put my trust in you. So try and love me while you can. I’ll run away with you tonight. Take your hand and walk away. I won’t let you down. All that I know is that I need to show what I want to do for you.